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02.04.2020 – Die kleinen Fliessgewässer bilden mit fast 75 Prozent den grössten Anteil des schweizerischen Gewässernetzes und ihnen kommt eine hohe ökologische Bedeutung zu. Sie bieten Lebensraum für eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten und dienen als Rückzugs- und Fortpflanzungsstätten. Diese Bäche leiden jedoch besonders oft unter dem Nutzungsdruck durch den Menschen und weisen häufig grosse ökologische Defizite auf.

Kleine Fliessgewässer
Bildquelle: Kanton St.Gallen

Kleine Fliessgewässer in Zahlen

Die Schweiz gilt als Wasserschloss Europas, denn die Wasserreserven der Schweiz betragen
6 Prozent der europäischen Süsswasservorräte. In der Schweiz entspringen die grossen Flüsse Rhein, Rhône, Ticino und Inn, die direkt oder via andere Flüsse schliesslich in unterschiedliche Meere münden: Der Rhein fliesst in die Nordsee, die Rhône ins Mittelmeer, der Ticino via Po in die Adria und der Inn über die Donau ins Schwarze Meer.

Fliessgewässer stellen einen unverzichtbaren Teil des Wasserkreislaufes dar und prägen in geologischen Zeiträumen durch ihre Dynamik und Kraft das Landschaftsbild. Das Gewässernetz der Schweiz hat eine Länge von über 65'000 Kilometer, davon machen die grossen Flüsse nur einen kleinen Teil der Fliessgewässerstrecke aus. Mit einem Anteil von knapp 75 Prozent bilden die kleinen Fliessgewässer den grösseren Teil des schweizerischen Gewässernetzes. Als kleine Fliessgewässer werden natürliche oder künstliche Gewässerläufe bezeichnet, die eine durchschnittliche Breite an der Mittelwasserlinie von weniger als zwei Meter aufweisen. Eine weitere geläufige Definition zur Unterscheidung der Gewässergrössen ist die von Strahler, bei der Fliessgewässer mit einer Flussordnungszahl (FLOZ) von 1 und 2 den kleinen Fliessgewässern zugeordnet werden. Ausgehend vom Quellabschnitt dem die FLOZ 1 zugeteilt wird, erhöht sich die die FLOZ um eine Stufe, wenn zwei gleichrangige Gewässerabschnitte zusammenfliessen. In der Literatur finden sich für die kleinen Fliessgewässer zahlreiche unterschiedliche Definitionen, weitgehend beschreiben sie jedoch die gleichen Gewässer.

Die kleinen Fliessgewässer spielen aber nicht nur streckenmässig eine grosse Rolle im Gewässernetz, sondern ihnen kommt auch eine hohe ökologische Bedeutung zu.

Mehr als Zahlen - die ökologische Bedeutung

Natürliche kleine Fliessgewässer sind noch stark von der Quelle geprägt und weisen daher einige quelltypische Merkmale auf. Mit zunehmender Entfernung vom Quellaustritt und Quellbach nimmt der Oberflächenabfluss Einfluss auf die Wasserführung. Die Wasserführung wird ausgeglichener und Hochwasser werden zur gestaltenden Kraft und zum bestimmenden ökologischen Faktor. Die Strömung und Dynamik beeinflussen die Gewässerstrukturen und Lebensgemeinschaften. Die wechselnden Wasserstände führen zu Uferabbrüchen, Verlandungszonen und Sandbänken. Es entsteht eine mosaikartige Verteilung verschiedener Kleinstlebensräume. Diese vielfältigen und reichstrukturierten Habitate fördern eine hohe Diversität an Pflanzen- und Tierarten, die an sich ständig wechselnde Bedingungen angepasst sind.

Die kleinen Fliessgewässer dienen als Rückzugort bei ungünstigen Verhältnissen in grösseren Fliessgewässern. An extrem heissen Tagen steigen beispielsweise Fische in die kühleren, kleineren Bäche auf. Durch ihre Funktion als Rückzugsorte ermöglichen sie auch eine Wiederbesiedlung bei Populationsausfällen nach Katastrophenereignissen. Zudem können kleine Fliessgewässer im natürlichem Zustand bei Hochwasserereignissen eine ausgleichende Wirkung auf die Wasserführung ausüben. Für Fische und andere Tiere sind diese Bäche oft wichtige Fortpflanzungsstätten.

Ein intaktes Ökosystem mit einer vielfältigen Fauna und Flora bietet aber auch einen hohen Erlebnis- und Erholungswert für Menschen.

Die Gefährdung und der Zustand

Kleine Fliessgewässer mit intensiver Nutzung im Einzugsgebiet etwa durch Siedlung, Industrie oder Landwirtschaft stehen oft unter starkem Druck.

Eindolungen und Begradigungen der Bäche führen zu einer starken Degradierung des vielfältigen Lebensraums. Verbauungen verhindern das Stattfinden der dynamischen Prozesse und begünstigen die Kolmatierung der Gewässersohle, bei der sich Feinmaterial im Lückensystem der Gewässersohle ablagert und verfestigt. Die Gewässersohle wird undurchlässig und ein wichtiger Lebensraum geht verloren. Eine reduzierte aktive Oberfläche der Gewässersohle vermindert das Selbstreinigungsvermögen. Weitere wasserbauliche Eingriffe, wie künstliche Barrieren und Bauwerke, zerstückeln die Lebensräume und beeinträchtigen die Vernetzung zwischen den Fliessgewässern. Von den erhobenen Fliessgewässern mit einer Sohlenbreite unter zwei Metern in der Schweiz - rund
38'000 Kilometer - befinden sich knapp 9'000 Kilometer (23 Prozent) in einem schlechten Zustand und davon ist etwa die Hälfte eingedolt. Im Kanton St.Gallen sind über 300 Kilometer der erhobenen kleinen Bäche stark verbaut und rund 770 Kilometer sind eingedolt.

Durch Verbauungen in Siedlungs- und Landwirtschaftsgebiet fehlt den kleinen Fliessgewässern häufig Raum für eine natürliche Dynamik. Die Sohlenbreite der Gerinne ist schmaler als sie natürlicherweise wäre und der Uferbereich ist ungenügend ausgeprägt. Das Siedlungs- und Landwirtschaftsgebiet grenzt durch fehlende Pufferstreifen oft zu nahe an die Gewässer. Bei 64 Prozent der Fliessgewässer in der Schweiz mit einer FLOZ 1 ist der Raumbedarf beidseitig erfüllt, dabei handelt es sich jedoch um die minimalen Anforderungen.

Fehlende Strukturen und fehlender Raum beeinflussen aber auch die Wasserqualität. Einträge von Nähr- und Schadstoffen aus Landwirtschaft, Siedlungsgebieten sowie Industrie und Gewerbe belasten die kleinen Fliessgewässer oft besonders stark, da durch die geringe Wassermenge eine schlechte Verdünnung vorliegt. Viele Tierarten, die diesen Lebensraum bewohnen, reagieren bereits schon auf geringe Nähr- und Schadstoffbelastungen sensibel und diese können zu Gesundheitsstörungen oder lokalem Aussterben führen. Auch erhöhte Konzentrationen von Trüb- oder Schwebestoffen beeinträchtigen die Lebensraumqualität für die wasserlebenden Organismen. Fische beispielsweise reagieren mit einer verminderten Nahrungsaufnahme und geringerem Wachstum.

Bei den kleineren Fliessgewässern rechnet man überwiegend mit diffusen stofflichen Einträgen. In den tieferen Lagen der Schweiz (< 1080 m.ü.M.) weisen rund 80 Prozent der Strecke der kleinen Fliessgewässer mindestens eine Quelle von organischen Mikroverunreinigungen auf. Eine schweizweite Bestandsaufnahme des ökologischen Zustands mittels Makrozoobenthos – von Auge sichtbare (Makro) wirbellose Wassertiere (Zoo), die auf der Gewässersohle (Benthos) sitzen – zeigt, dass annähernd die Hälfte der untersuchten kleinen Fliessgewässer die ökologischen Ziele verfehlen und erhebliche Defizite bei der Wasserqualität aufweisen. Insbesondere kleine Fliessgewässer in tieferen Lagen (< 600 m.ü.M.) erfüllen die Gewässerschutzverordnung nicht; hier befanden sich fast 60 Prozent der untersuchten Gewässer in einem ökologisch ungenügenden Zustand.

Im Kanton St. Gallen wird seit 2011 durch das Amt für Wasser und Energie verstärkt der ökologische Zustand der kleinen Fliessgewässer untersucht. Von den bis anhin rund 80 biologisch untersuchten Stellen an den Bächen (Stand Dezember 2018), welche meist in intensiv genutzten Gebieten liegen, weisen etwa zwei Drittel keine naturnahe und standortgerechte Lebensgemeinschaft der wirbellosen Wassertiere auf und erfüllen damit die Anforderungen der Gewässerschutzverordnung nicht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Oft erfolgt ein diffuser Eintrag aus Siedlung und Industrie oder aus landwirtschaftlich genutzten Gebieten. Nicht selten liegen dabei die Schadstoffkonzentrationen der gemessenen Mikroverunreinigungen in einem Bereich, wo negative Auswirkungen auf das Ökosystem nicht ausgeschlossen werden können.

Was wird gemacht?

Als Amt für Wasser und Energie setzten wir uns ein für sichere und intakte Gewässer, für den Schutz unserer Bäche, Flüsse und Seen ein.

Die Abteilung Gewässerqualität untersucht aufgrund der erkannten Mängel weiterhin verstärkt die oft stark belasteten kleinen Fliessgewässer. Bei festgestellten Defiziten werden im Anschluss entsprechende Massnahmen mit den betroffenen Akteuren eingeleitet, um wo möglich wieder einen guten Gewässerzustand herzustellen.

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