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In Naherholungsräumen von Städten und Agglomerationen herrscht reger Betrieb. Wildtiere und deren Lebensräume geraten dadurch unter Druck. In stark frequentierten Gebieten sind Rehe weniger aktiv und für viele Wildtierarten ist der Lebensraum reduziert. Wildruhezonen, eine eingeschränkte Erschliessung und die Lenkung der Besuchenden verbessern die Lebensbedingungen der Wildtiere.

Claudio Signer, Forschungsgruppe Wildtiermanagement WILMA, ZHAW Wädenswil

Ein Reh läuft langsam und vorsichtig durch eine Waldlichtung.
Rehe gelten als relativ anpassungsfähige Wildtiere. In Gebieten mit hoher menschlicher Nutzungsintensität werden sie in ihrer Bewegungsfreiheit und Lebensraumwahl jedoch deutlich eingeschränkt. (Foto: Roland Graf WILMA/ZHAW)

Studie mit Wildtieren und Menschen

In einem interdisziplinären Forschungsprojekt untersuchte die ZHAW Wädenswil gleichzeitig das Verhalten von Wildtieren und Menschen in den Naherholungsräumen südlich der Stadt Zürich. Dieses Gebiet umfasst Bereiche unterschiedlicher menschlicher Nutzungsintensität. Als Modellart diente primär das Reh, einzelne Aspekte wurden auch mit Waldvögeln untersucht. Zur Erfassung der Raumnutzung und Bewegungsaktivität wurden im Zeitraum 2013-15 insgesamt 15 ausgewachsene Rehe mit Telemetriehalsbändern ausgestattet. Die menschlichen Aktivitäten wurden mittels fix installierter Zählstationen, Fotofallen und Wegnetzanalysen untersucht. Für gezielte Störungsexperimente wurden zudem verschiedene Nutzer (Mountainbiker, Orientierungsläufer, Jäger und Freilandforscher) mit GPS-Loggern ausgestattet.

Menschen sind gerne auch in Randzeiten unterwegs

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Tageszeitliche Verläufe von a) Besucheraufkommen und b) Bewegungsaktivität der Rehe, jeweils exemplarisch für den Sommer (1. Juni – 31. August). Die tageszeitlichen Verläufe sind in allen Jahreszeiten ähnlich, aber in Abhängigkeit der Dämmerung zeitlich verschoben. Details zu a): Wegnutzung durch Fussgänger und Fahrradfahrer in einem Bereich mit hoher menschlicher Nutzungsintensität; die Säulen geben das mittlere tägliche Besucheraufkommen aller Nutzungsformen an. Details zu b): Bewegungsaktivität der besenderten Rehe im gesamten Untersuchungsgebiet (Säulen) bzw. separat für Bereiche mit niedriger und hoher menschlicher Nutzungsintensität (Linien).

Das Untersuchungsgebiet wurde von Menschen an Wochenenden häufiger genutzt als an Werktagen. Rund zwei Drittel der Personen waren zu Fuss, ein Drittel mit dem Fahrrad unterwegs. Mountainbiking, Velofahren und Jogging wurden an Werktagen häufiger in den Randzeiten am Morgen und Feierabend ausgeübt, während Spazieren und Nordic Walking eher über den ganzen Tag verteilt stattfanden. Die Nutzungsmuster passten sich im Jahresverlauf der Verschiebung des Dämmerungszeitpunktes an. Einige Aktivitäten wurden in reduziertem Mass auch nach Einbruch der Dunkelheit ausgeführt. Dabei kamen Leuchtmittel wie Stirnlampen oder Flutlichter zum Einsatz. Wegnetzanalysen haben gezeigt, dass ein hoher Nutzungsdruck sowie ein unzureichendes oder nicht bedürfnisgerechtes Wegnetz vermehrt zur Entstehung von inoffiziellen Wegen führen können.

«Wo Menschen sich erholen, lebt das Reh verstohlen…»

Zu Erholungszwecken genutzte Waldstrassen werden von Rehen und Waldvögeln gemieden
Zu Erholungszwecken genutzte Waldstrassen werden von Rehen und Waldvögeln gemieden (Foto: Marco Köppel).

Stärkere Reaktionen bei Störungen abseits des Wegnetzes

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Ob sich die Menschen auf dem offiziellen Wegnetz oder abseits bewegen, hat einen Einfluss auf die Fluchtdistanz der Rehe (Foto: Kurt Giger).

Die Reaktionen der Rehe auf gezielte Störungsexperimente erwiesen sich grundsätzlich als sehr variabel. Fuhren Mountainbike-Gruppen auf dem offiziellen Wegnetz nahe an Rehen vorbei, reagierten die Tiere in der Regel mit kurzen Fluchten und zeigten bald darauf wieder ein ähnliches Bewegungsmuster wie zuvor. Bewegten sich Menschen jedoch abseits des offiziellen Wegnetzes, flohen die Rehe im Mittel weiter, wenngleich hier die Spannweite der Reaktionen sehr gross war und die unterschiedlichen Störungsexperimente aufgrund ihres methodischen Ansatzes nur bedingt miteinander vergleichbar sind. Generell suchten Rehe nach einer Störung jedoch Zufluchtsorte mit besonders dichter Vegetation und geringer Sichtweite auf.

Nutzungskonflikte und Lösungsansätze

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Menschliche Aktivitäten können den Lebensraum von Wildtieren einschränken (Foto: KFA).

Rehe und andere Wildtiere sind zwar anpassungsfähig und können sich offensichtlich auch in Gebieten mit hoher Erschliessungs- und Nutzungsdichte halten. Das Forschungsprojekt «Wildtier und Mensch im Naherholungsraum» zeigt aber, dass sie in ihrer Lebensraumwahl und Aktivität deutlich eingeschränkt werden. Wildruhezonen und gezielte Besucherlenkungsmassnahmen mit bedürfnisgerechter Erholungsinfrastruktur, aber eingeschränkter Erschliessung, können die Lebensbedingungen für Wildtiere massgeblich verbessern. Ein zeitgemässes Management von Naherholungsräumen sollte demnach sowohl die Ansprüche der Menschen als auch diejenigen der Wildtiere berücksichtigen.

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Pascal Gmür

Pascal Gmür

Forstingenieur FH

Forstingenieur

Kantonsforstamt

Davidstrasse 35
9001 St.Gallen