Anrechenbare praktische Tätigkeit
Allgemeines:
Die Anrechenbarkeit eines juristischen Praktikums ist in Art. 4 und 4bis des Prüfungs- und Bewilligungsreglements für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Rechtsagentinnen und Rechtsagenten [PBR] neues Fenster geregelt.
Wer sich zur Prüfung anmeldet, muss nach dem Universitätsstudium während eines Jahres eine praktische Tätigkeit im juristischen Bereich ausgeübt haben, wovon mindestens neun Monate im Kanton St.Gallen, wovon wiederum mindestens sechs Monate bei einer st.gallischen Anwältin/einem st.gallischen Anwalt oder einem st.gallischen Gericht. Als Gericht gelten die in
Art. 10 AnwG genannten Monopolbehörden. Juristische Tätigkeiten bei der Staatsanwaltschaft gelten somit als st.gallische Gerichtspraktika. Ebenso als st.gallische Gerichtspraktika gelten juristische Tätigkeiten beim Bundesverwaltungsgericht ab 1. Juli 2012 und noch bis zum 30. Juni 2028 (vgl. Prüfungs- und Bewilligungsreglement für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Rechtsagentinnen und Rechtsagenten [PBR] neues Fenster in der revidierten Fassung, in Kraft ab 1. Juli 2026).
Praktikum im Rechtsdienst von privaten Unternehmungen:
Bei Praktika an Gerichten, bei Anwältinnen und Anwälten, bei der Staatsanwaltschaft sowie bei Rechtsdiensten von Behörden des Kantons und der Gemeinden wird vermutet, dass die Tätigkeit juristischer Natur ist. Die Tätigkeit bei Rechtsdiensten von privaten Unternehmen gilt als juristische Tätigkeit, wenn Gewähr dafür besteht, dass während der Praktikumsdauer unter Anleitung einer ausgebildeten Juristin oder eines ausgebildeten Juristen überwiegend Rechtsprobleme bearbeitet worden sind. Diesbezüglich werden ausdrückliche Bestätigungen verlangt.
Ausserkantonale Praktika:
Die Anwaltskammer kann praktische Tätigkeiten in einem anderen Kanton im Umfange von drei Monaten anerkennen. Mehr ist regelmässig nicht nötig, da damit - zusammen mit den ohnehin notwendigen neun Monaten Praktikum im Kanton St.Gallen - das Erfordernis des einjährigen Praktikums erfüllt ist. Praktika beim Bund werden wie ausserkantonale Praktika behandelt. Die Praktika werden nicht zum Voraus bewilligt und es werden keine diesbezüglichen Bestätigungen ausgestellt. Vielmehr wird im Zeitpunkt der Zulassung zur Prüfung darüber entschieden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllt sind.
Praktika bei ausländischem Studienabschluss:
Für Bewerberinnen und Bewerber, die nicht im Besitz eines juristischen Abschlusses einer schweizerischen, sondern einer ausländischen Universität sind, wird eine juristische Tätigkeit von wenigstens drei Jahren in der Schweiz, wovon mindestens einem Jahr im Kanton St.Gallen, verlangt. Zudem gelten die allgemeinen Voraussetzungen, insbesondere das Erfordernis einer mindestens sechs Monate dauernden Tätigkeit bei einer st.gallischen Anwältin/einem st.gallischen Anwalt oder einem st.gallischen Gericht.
Stichtag für die Anrechnung:
Stichtag für die Anrechnung einer praktischen juristischen Tätigkeit ist der Tag der Diplomausstellung. Eine frühere Anrechnung ist möglich, sofern eine schriftliche Bestätigung der Universität vorliegt, dass sämtliche Prüfungen und Arbeiten erfolgreich abgeschlossen wurden. Eine praktische juristische Tätigkeit nach dem juristischen Bachelorabschluss und vor dem juristischen Masterabschluss wird zu 50% an die verlangte Praktikumsdauer angerechnet. Wird nur ein Bachelorpraktikum absolviert, so ist dementsprechend eine mindestens zweijährige praktische juristische Tätigkeit notwendig.
Die Teilrevision des PBR neues Fenster, welche am 1. Juli 2026 in Kraft tritt, führt nebst Anpassungen des Prüfungsablaufs zu folgenden Änderungen in Bezug auf die anrechenbare praktische Tätigkeit:
- Praktika im Rechtsdienst von privaten Unternehmen werden künftig nicht mehr anerkannt.
- Ausserkantonale Praktika werden künftig nicht mehr anerkannt.
- Praktika bzw. eine Tätigkeit beim Bundesverwaltungsgericht bleiben im Umfang von einem halben Jahr anrechenbar. Neu ist zusätzlich ein mindestens halbjähriges Praktikum bei einem erst- oder zweitinstanzlichen Gericht des Kantons St. Gallen oder bei einer st. gallischen Rechtsanwältin oder einem st. gallischen Rechtsanwalt erforderlich.
Keine Änderungen ergeben sich in Bezug auf die Anrechenbarkeit von Praktika bei der Staats- und Jugendanwaltschaft.
Übergangsrechtlich anerkennt die Anwaltskammer nach geltender Regelung anrechenbare Praktika, die bis 30. Juni 2028 absolviert werden, in Anwendung von Art. 25bis Abs. 4 revPBR noch bis 30. Juni 2030. Dies gilt sinngemäss auch für die bisherige Anrechnungspraxis hinsichtlich Praktika bzw. Tätigkeiten am Bundesverwaltungsgericht.
Praktikantenbewilligung
Wer bei einer/einem in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragenen Anwältin/Anwalt mit Sitz in St.Gallen oder einem Nachbarkanton ein Praktikum absolviert, arbeitet unter deren/dessen Leitung und Verantwortung. Für die Vertretung von Parteien vor Gericht oder den Strafuntersuchungsbehörden braucht die Praktikantin oder der Praktikant eine Bewilligung.
Um den Kandidatinnen und Kandidaten, die sich auf die Anwaltsprüfung vorbereiten, eine praktische juristische Tätigkeit zu ermöglichen, bieten die st.gallischen Gerichte, die Staatsverwaltung und der St.Galler Anwaltsverband spezielle Praktikumsstellen an.
Die Bewilligung wird erst erteilt, wenn die Praktikantin oder der Praktikant bereits ein halbes Jahr an einem Gericht oder bei einer Anwältin oder einem Anwalt im Kanton St.Gallen oder einem Nachbarkanton juristisch tätig war. Es werden nur praktische juristische Tätigkeiten angerechnet, welche nach dem Abschluss des Master-Studiums bzw. nach Erlangen des Lizenziats absolviert wurden. Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen - namentlich Praktikantinnen oder Praktikanten aus Kantonen, die nicht an den Kanton St.Gallen angrenzen oder Praktikantinnen oder Praktikanten mit einem Bachelorabschluss - wird die Bewilligung verweigert. In solchen Fällen gibt es auch keine Bewilligung für die Vertretung im Einzelfall.
Die Anwaltskammer des Kantons St.Gallen, die Anwaltsaufsichtskommission des Kantons Appenzell Ausserrhoden und die Anwaltskammer des Kantons Appenzell Innerrhoden haben eine Vereinbarung getroffen, welche die gegenseitige Anerkennung der kantonalen Rechtspraktikantenbewilligung regelt. Infolge dieser am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Vereinbarung besteht nicht mehr die Notwendigkeit, für jeden Kanton eine Rechtspraktikantenbewilligung zu beantragen, da die in einem Kanton erteilte Rechtspraktikantenbewilligung ohne zusätzliche Bewilligung auch in den anderen Kantonen anerkannt wird. Für Einzelheiten wird auf die Vereinbarung verwiesen. Mit Wirkung ab 1. April 2019 ist auch die Anwaltskommission des Kantons Thurgau der Vereinbarung beigetreten.
Die Bewilligung kann auf längstens drei Jahre erteilt werden.
Die Praktikantin oder der Praktikant (nicht das Anwaltsbüro) reicht online über das Gesuch Praktikantenbewilligung neues Fenster folgende Beilagen ein:
- Unterschriebenes Gesuch der Praktikantin / des Praktikanten;
- einen Lebenslauf;
- die Verantwortlichkeitserklärung der Anwältin oder des Anwalts;
- einen Strafregisterauszug (diese Bescheinigung darf nicht älter als 3 Monate sein);
- eine Bescheinigung des Betreibungsamtes, dass keine Verlustscheine vorliegen (diese Bescheinigung darf nicht älter als 3 Monate sein);
- eine Wohnsitzbescheinigung (darf nicht älter als 1 Monat sein);
- eine Auskunft des Einwohneramtes oder der KESB (Kindes- & Erwachsenenschutzbehörde) des Wohnsitzes zu allfälligen Einschränkungen der Handlungsfähigkeit durch eine Massnahme des Erwachsenenschutzrechts (diese Bescheinigung darf nicht älter als 3 Monate sein);
- Wurde der Wohnsitz innerhalb des letzten Jahres (vom Anmeldedatum zurückgerechnet) verlegt, so sind zusätzlich entsprechende Bescheinigungen des früheren Wohnsitzes (Wohnsitzbescheinigung, Auskunft Einwohneramt/KESB, Auszug aus dem Betreibungsregister) einzureichen.
- Studienausweise;
- Ausweise über die bisherige praktische Tätigkeit;