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Kleine Geschichte der kantonalen Turnverbände St.Gallens
StASG, W 296-6.2.24-2-2

Das Turnen hat im Kanton St.Gallen eine lange, bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition. Schon damals wurden zahlreiche der noch heute vorhandenen Turnvereine gegründet, bald auch ein kantonaler Dachverband. Der heutige St.Galler Turnverband (SGTV) existiert allerdings erst seit dem 1. Oktober 1988. Vor 30 Jahren entstand er aus der Fusion des St.Gallischen Kantonalturnverbandes und des Frauenturnverbandes St.Gallen. Ein beachtenswerter Vorgang – und allemal Grund genug, um anlässlich des 30-jährigen Jubiläums auf die nun im Staatsarchiv St.Gallen einsehbaren Unterlagen der Turnverbände hinzuweisen. 

„Festlich fröhliche Stimmung“, herrschte, so ist in der Sport Aktiv 22/1988 nachzulesen, an der Gründungsversammlung des St.Galler Turnverbandes. Ganz zu Recht, ist man geneigt zu sagen, denn was die Anwesenden im „Schützengarten“ in St.Gallen erlebten, darf durchaus als geschichtsträchtig bezeichnet werden. Für regionale Verhältnisse sowieso, aber auch mit Blick auf die Gesamtschweiz: In St.Gallen organisierten sich erstmals die Turnerinnen und Turner in einem gemeinsamen Kantonalverband. Was heute konsequent und logisch wirken mag, stellte noch in den 1980er Jahren eine eigentliche Pionierleistung dar. Und entsprechend sorgfältig wollte die Vereinigung vorbereitet sein, rund 15 Jahre dauerten die Sondierungen insgesamt. Zielstrebiges Aufeinander-Zugehen, wie das Cluborgan befand; jedenfalls aber Ausdruck der anhaltenden, immer enger werdenden Kontakte zwischen dem St.Gallischen

Kantonalturnverband und dem Frauenturnverband St.Gallen. Dass allerdings nicht erst seit den 1970er Jahren und auch nicht nur hinsichtlich einer möglichen Fusion zwischen den beiden Verbänden Beziehungen bestanden, das zeigt sich in aller Deutlichkeit in den Unterlagen der Turnverbände.

Während 66 Jahren bestanden auf dem Kantonsgebiet zwei Turnverbände, von 1922 bis 1988, und während der gesamten Zeitdauer galt es immer wieder, kleinere und grössere Aufgaben des Turnwesens gemeinsam zu regeln. Was im Allgemeinen auch ganz gut gelang. In organisatorischer Hinsicht vielfach einfacher war diesbezüglich dann aber doch die Zeit, in der es nur einen kantonalen Turnverband gab. Wird die Perspektive etwas geweitet, so zeigt sich, dass die Zeit mit zwei Turnverbänden wohl eine – sport- und gesellschaftspolitisch interessante – Ausnahme war und bleiben wird. Dass seit 30 Jahren mittlerweile nur noch ein kantonaler Turnverband besteht, ist keine historische Anomalie. Schon vor den 1920er Jahren traf dies für über 50 Jahre zu. Im Frühjahr 1867 trafen sich Vertreter aus St.Gallen, Flawil, Degersheim, Ebnat und Wattwil, um die Gründung eines ersten kantonalen Dachverbandes in die Wege zu leiten. Was klein und unscheinbar begann, entfaltete dabei, obschon die Teilnahme am Verband nur Turnern möglich war, eine langfristige Wirkung, in gewisser Hinsicht bis in die Gegenwart.

StASG, W 296/1.2.1-2-01
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Überhaupt war das Jahr 1867 ein äussert interessantes, voller Ereignisse, welche die Welt nachhaltig veränderten: Alaska wurde an die Vereinigten Staaten von Amerika verkauft, das 2. Kaiserreich in Mexiko – und damit auch der Habsburger Maximilian I. – fand ein unerwartet schnelles Ende, Alfred Nobel liess sein Dynamit patentieren und Marie Curie wurde geboren. Mag die Gründung des St.Gallischen Kantonalturnverbandes im selben Jahr vielleicht nicht von weltpolitischer Bedeutung sein, so prägte sie doch den Kanton St.Gallen in sportlicher, aber auch gesellschaftlicher Hinsicht bis in die Gegenwart. 

Der Ursprung des Verbandes lag dabei vor allem in der Stadt St.Gallen; es waren Vertreter des bereits existierenden Turnvereins der Stadt St.Gallen, welche die Initiative zur Gründung eines kantonalen Dachverbandes ergriffen und interessierte Vertreter von Turnvereinen kontaktierten. Ein kühnes Vorhaben, das innerhalb des Kantons allerdings schnell auf Zustimmung stiess. Wohl auch, weil ein solcher Verband zu diesem Zeitpunkt bereits im benachbarten Appenzell Ausserrhoden existierte – verständlich, dass man da nicht länger zurückstehen wollte. 

Der Grundstein war also 1867 gelegt, und bald prosperierte der Verband in erhofftem Masse. Mehr und mehr Vereine schlossen sich an, stetig stieg die Anzahl der aktiven Turner. Mit – positiven – Auswirkungen auf die veranstalteten Turnfeste. Diese waren, und daran hat sich bis heute nichts geändert, in den Gründerjahren eigentliche Highlights des Verbandsjahres. Auf regionaler und kantonaler Ebene, aber auch auf nationaler wetteiferten die st.gallischen Turner in verschiedensten Disziplinen. Im Jahre 1922 fand schliesslich erstmals ein Eidgenössisches Turnfest in St.Gallen statt. Ein nationales Grossereignis. Es wurde zu einem beachtlichen Erfolg und verlieh dem Turnwesen in St.Gallen weiteren Schub. Und führte, eher zufällig, zur Gründung eines kantonalen Verbandes für die hiesigen Turnerinnen.

Am Eidgenössischen Turnfest 1922 mittendrin: Jakob Moser, engagierter Präsident des Turnkomitees für das Frauenturnen – und gerade deshalb etwas enttäuscht über die marginale Beteiligung ostschweizerischer Damenturnvereine. „Wohlgelungen“, so beurteilte Moser aber immerhin die Leistungen der anwesenden st.gallischen Turnerinnen. Vielleicht war es deshalb nur konsequent, dass er die Initiative zur Gründung eines kantonalen Frauenturnvereines ergriff. Noch im gleichen Jahr, am 12. Dezember, trafen sich denn auch bereits 17 Vereine an der Gründungsversammlung der Damenturnvereinigung St.Gallen, wie der später in Frauenturnverband St.Gallen umgetaufte Verband ursprünglich hiess. Als Präsident amtete die ersten Jahre erwähnter Jakob Moser gleich selbst, und mit Willy Kobelt und Jakob Litscher gehörten dem Vorstand zwei weitere lokale Turngrössen aus den Reihen des St.Gallischen Kantonalturnverbandes an. 

Persönliche Kontakte verbanden die beiden Turnverbände also schon zu Beginn, auch wenn diese noch etwas einseitig waren: Turner fungierten als Bindeglieder, nicht Turnerinnen. Immerhin schreiben die Statuten ausdrücklich vor, dass in der Damenturnvereinigung mindestens zwei Turnerinnen dem Vorstand angehören müssen – wenigstens hier war schon verwirklicht, was sich der SGTV nach der Fusion ebenfalls zum Ziel setzte: Eine nach Geschlechtern möglichst ausgeglichen besetzte Leitungsebene. Dass es beinahe 25 Jahre dauerte, bis die erste Frau zur Verbandspräsidentin gewählt wurde, sei aber nicht verschwiegen: Helena Hamburger-Padrun kam 1946 zu Amt und Würden und ersetzte den zurückgetretenen Jakob Moser. 

Neben Kontakten im privaten Bereich begegnete man sich weiterhin vor allem an Turnfesten. Eine gewinnbringende Konstante im Verhältnis der Verbände, von Anfang an und bis zur Fusion. Wenngleich dadurch kleinere Spannungen zwischen den Verbänden gelegentlich nicht vermieden werden konnten, teils gar erst an Turnfesten entstanden, auch und gerade in der Anfangszeit. Etwa im Anschluss an das Kantonalturnfest 1927 in Rorschach, als seitens der Damenturnvereinigung ein unfreundlicher Empfang der Turnerinnen moniert wurde – von der unverständlichen Absenz der Damenturnvereinigung im Festbericht ganz zu schweigen.

Gleichwohl etablierte sich im Laufe der Zeit eine eingespielte Beziehung zwischen den beiden Verbänden, die sich nicht nur vor Grossanlässen, sondern auch im Tagesgeschäft immer enger miteinander absprachen. Es formierten sich auch, ein entscheidender Schritt im Hinblick auf die letztliche Fusion, in zunehmendem Masse gemeinsame Kommissionen in denen organisiert und diskutiert wurde sowie – nicht unwichtig – Missverständnisse ausgeräumt werden konnten. In den 1980er Jahren etwa in der Jugendturnkommission, der Presse- und Propagandakommission oder der Spielkommission. Und seit jeher existierten und funktionierten – notabene ohne, dass dafür spezifische Reglemente notwendig gewesen wären – vereinzelt gemeinsame Kommissionen. Erwähnt seien etwa die Ski- und Bühnenkommissionen. 

Nicht immer vereinfachen juristische Regelungen also den Vereinsalltag, es ist allseits bekannt, und trotzdem sind sie oftmals so richtig wie wichtig. Der vor 30 Jahren unterzeichnete Fusionsvertrag zwischen dem St.Gallischen Kantonalturnverband und dem Frauenturnverband St.Gallen darf gewiss als solches Beispiel gelten. Dem Ereignis angemessen von Fanfarenklängen begleitet, unterzeichneten Vertreter und Vertreterinnen beider Verbände diesen vor nunmehr 30 Jahren. Seither sind die Turnerinnen und Turner auf dem Kantonsgebiet unter einem gemeinsamen Dachverband organisiert: dem St.Galler Turnverband. Wiederum existiert nun mehr ein kantonaler Turnverband, mit der Neuerung – dem Fortschritt –, dass dieser nun aber auch Turnerinnen offensteht. Nicht nur die aktuell rund 200 dazugehörenden Turn- und Sportvereine und die 28'000 Turnerinnen und Turner, sondern auch das mittlerweile enorm vielfältige Angebot an Disziplinen und Anlässen verweisen dabei heute auf die Bedeutung und die Entwicklungsfähigkeit des letztlich doch noch jungen Verbandes. Dass daneben aber so Manches auch Bestand hatte, dass ganz wesentliche Elemente des heutigen Turnverbandes bereits im 19. Jahrhundert in gleicher oder ähnlicher Form existierten, gilt es abschliessend nochmals zu betonen. 

Tradition und Innovation – zwei Schlagworte, die die Geschichte der Turnverbände auf dem Kantonsgebiet passend umreissen. Beidem, und allen Facetten dazwischen, kann nun im Staatsarchiv St.Gallen nachgespürt werden.

 

Quellen: 

W 296/1.2.1-2-01 (Protokolle der Vorstandssitzungen des St.Gallischen Kantonalturnverbandes1867-1889)

W 296/1.3 (Verbandsorgan des St.Gallischen Kantonalturnverbandes1980-1988)

W 296/2.1.1-1 (Protokolle der Abgeordneten-Versammlungen des St.Galler Turnverbandes 1988-2000)

W 329/03 (Protokolle und Berichte des Frauenturnverbandes St.Gallen 1922-1988)

W 329/07.2 (Unterlagen des Frauenturnverbandes St.Gallen. Fusion mit dem Kantonalturnverband: Fusionsvertrag mit Beilagen 1963-1988)

W 329/03.1 (Frauenturnverband St.Gallen, Protokollbuch 1922-1933)

Darstellungen:

Brunner, Johannes / Kessler, Anton / Sinkwitz, Richard: 60 Jahre St.Gallischer Kantonalturnverband, St.Gallen 1927.  

 

Cyril Schiendorfer, Staatsarchiv St.Gallen

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