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Zu Beginn der 1990er Jahre sorgten die Enthüllungen des Staatsschutzes in der Schweiz für Wirbel, was als „Fichenaffäre“ in die Schweizer Geschichte einging. Als Reaktion darauf wurde die 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft im Jahr 1991 von Kulturschaffenden boykottiert und die Volksinitiative „S.o.S. – Schweiz gegen den Schnüffelstaat“ ins Leben gerufen. In den Jahrzehnten des Kalten Kriegs dienten Massnahmen des Staatsschutzes der Bekämpfung ideologischer Unterwanderung. Ohne rechtliche Grundlagen waren Überwachungsorganisationen tätig. Ideologisch andersdenkende Personen wurden beobachtet und ihre Aktivitäten auf Karteikarten bzw. in Aktendossiers festgehalten. Dabei gab es auch Fälle, wo den Personen schliesslich nichts Handfestes nachgewiesen werden konnte. Dies zeigt der Fall eines Österreichers, welcher bei Grenzübertritt in die Schweiz ein Porträt, was einem PdA-Politiker aus Zürich glich, mitführte. Daraufhin bestand der Verdacht einer Verbindung zur KPÖ und zur PdA, was sich letztlich nicht erhärtete.

Gleichwohl ist die Thematik wieder in den Vordergrund gerückt, da Anschläge auf offenen Strassen bzw. auf gut besuchten öffentlichen Plätzen in Europa in letzter Zeit zunahmen. Forderungen nach besserer Kontrolle und Überwachung von so genannten „Gefährdern“ werden stark diskutiert.

Die Unterlagen der „Fichenaffäre“ zum Kanton St.Gallen sind im Staatsarchiv gesichert. Eine Auswahl von Fällen, denen das kantonale Justiz- und Polizeidepartement damals nachgegangen war, wird im Folgenden kurz dargelegt.

Ein verdächtiges Foto

Ein österreichischer Bahnbeamter führte beim Grenzübertritt in die Schweiz ein Foto des ehemaligen Zürcher Stadtrats Edgar Woog in seinem Reisepass mit, was den Verdacht aufkommen liess, dass er in Verbindung zur KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs) und zur PdA (Partei der Arbeit der Schweiz) stehe. Deshalb wurde er bei seinen Aufenthalten in der Schweiz von Ende 1958 bis Anfang 1959 polizeilich beobachtet, auch wenn letztlich nichts Beweisbares den Verdacht einer Verbindung zu den genannten Parteien erhärtete. 

Im Februar 1959 kam es zu einer Befragung des Mannes durch den polizeilichen Spezialdienst in St.Gallen. Er gab an, dass er durch seine dienstliche Tätigkeit bei der Bahn leicht neue Kontakte knüpfe und gern reise. Mit Politik befasse er sich nicht und von der KPÖ habe er noch nie etwas gehört. Hingegen sei er für drei Jahre Mitglied der SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) gewesen und weiterhin gewerkschaftlich engagiert. Ob er wirklich ein Foto von Edgar Woog mitgeführt hatte, konnte im Nachhinein nicht verifiziert werden. Der österreichische Bahnbeamte gab diesbezüglich an, dass er ein Foto eines älteren Herrn aus Bregenz im Reisepass hatte, da dieser ihm noch Geld geschuldet habe. Die Summe sei dann beglichen worden, als er ihn in Konstanz getroffen habe. Anschliessend habe er das Foto des Herrn aus Bregenz, der Edgar Woog sehr ähnelte, zerrissen.

Auszug aus der Korrespondenz der Passkontrolle St.Margethen und dem Polizeikommando des Kantons St.Gallen, 9. September 1958 (StASG A 137/2675).
Auszug aus der Korrespondenz der Passkontrolle St.Margethen und dem Polizeikommando des Kantons St.Gallen, 9. September 1958 (StASG A 137/2675).

Anti-Vietnamkrieg-Demonstration in der Stadt St.Gallen

Die Studentengruppe „Inform“ hatte für den 11. Dezember 1969 eine Demonstration gegen den Vietnamkrieg in St.Gallen geplant. Das Datum wurde international als „Moratorium-Day“ bezeichnet.

Der Abmarsch des Demonstrationszugs in St.Gallen begann auf dem Blumenbergplatz und endete auf dem Marktplatz Bohl. Zur Bekanntmachung der Demonstration waren im Vorfeld Flugblätter in der Hochschule, Kantonsschule, Gewerbeschule und auf den Strassen verteilt worden. Den Inhalt des Flugblatts hatte zuvor Landammann Simon Frick genehmigt. Das städtische Polizeiinspektorat beorderte trotzdem eine Überwachung der Demonstration an, da sich auch Gegendemonstranten angekündigt hatten. Auf dem Blumenbergplatz fanden sich schliesslich ca. 80 Demonstranten ein, während nur wenige Gegendemonstranten erschienen. Die Demonstranten trugen Spruchbänder, wie:

„US GO HOME“

„NAPALM MADE IN SWITZERLAND“

„Wo bleiben die CSSR-Freunde?“

„VIETNAM DEN VIETNAMESEN“

Die Gegner versuchten die Demonstration mit Zwischenrufen zu stören. Der Aufforderung zu einer Diskussion kamen die Gegner nicht nach. Am Ende befanden sich ungefähr 200 Demonstranten und Zuhörer auf dem Marktplatz Bohl. Die Demonstration endete friedlich.

Anti-Vietnamkrieg-Demonstration in St.Gallen, 11. Dezember 1969 (StASG A 137/2567.158).

„Eigenartiges Verhalten eines russischen Emigranten in Rorschach“

Am Abend des 7. September 1979 fiel in Rorschach ein roter VW Derby mit deutschem Kennzeichen auf. Eine Anwohnerin meldete der Kantonspolizei St.Gallen, dass ein Unbekannter mehrmals das Licht seines Fahrzeuges betätigte. Ausserdem suchte er den Kofferraum sowie das Fahrzeuginnere mit einer Taschenlampe ab. Das Verhalten des Mannes kam der Anwohnerin eigenartig vor und so rückte die Polizei an. Der Mann wies den Polizisten einen amerikanischen Emigrantenpass vor. Er gab zudem an, dass er ferienhalber in der Schweiz sei und bei einem Freund in München lebe, wo er auch das Fahrzeug gekauft habe. Er absolviere dort für einige Monate einen Deutschkurs am Sprachen- und Dolmetscher-Institut. Über Funk wurde der Nachrichtendienst informiert. Die Überprüfung fiel negativ aus, trotzdem wurde das Fahrzeug einige Zeit beschattet. Es bestand der Verdacht, dass der Mann nachrichtendienstliche Aktivitäten zugunsten des sowjetischen Nachrichtendiensts ausübt. Diese Vermutung erhärtete sich allerdings nicht. Nach dem Verlassen der Schweiz wurden die Ermittlungen eingestellt. Die weiteren Recherchen zur Person ergaben, dass der Unbekannte in der UdSSR geboren wurde. Er ging in den 1970er Jahren in die USA, wo er ein Studium begann. Zuletzt arbeitete er als Fotograf in Boston.

Rorschach: Marktplatz mit Hotel Münzhof und Café Marktplatz sowie parkierten Autos, 1955 (StASG W 283/1-07820).
Rorschach: Marktplatz mit Hotel Münzhof und Café Marktplatz sowie parkierten Autos, 1955 (StASG W 283/1-07820).

Die Rückkehr zum Zollamt Buchs

Dem Polizeikommando des Kantons St.Gallen wurde im März 1947 in einem Rapport die gewünschte Versetzung eines österreichischen Zollbeamten von Feldkirch nach Buchs mitgeteilt. Der Beamte war bereits zwischen 1927 bis 1946 mehrfach im Zollamt Buchs-Bahnhof stationiert gewesen. Die Rückkehr wurde ihm nun aber erschwert, da er in der Vergangenheit nachrichtendienstliche Tätigkeiten ausgeübt hatte. So war er von 1938 bis 1940 Mitglied bei der NSDAP gewesen und hatte in Buchs für die Partei Erkundigungen ausgeführt. Dies brachte ihm in seinem Herkunftsland als erster Zollbeamter österreichischer Nationalität das „Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern“ für besondere Nachrichtendienste ein. Im Jahr 1943 trat er aus der NSDAP aus und schloss sich der Widerstandsbewegung an. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wechselte er auf die kommunistische Seite und trat der KPÖ bei. Der Seitenwechsel brachte ihm gegenüber seinen österreichischen Kollegen in Buchs Missachtung ein, so dass er 1946 nach Feldkirch versetzt wurde. Dort leistete er u.a. für die KPÖ weiterhin Nachrichtendienste und war als Kurier tätig.

Aus den Akten geht nicht hervor, ob der österreichische Zollbeamte schliesslich nach Buchs zurückkehren konnte. Aufgrund seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeiten ist aber anzunehmen, dass die Versetzung nach Buchs ausblieb.

Buchs: Bahnhof mit Kiosk, Wartesälen und Restaurant, 1952 (StASG ZMA 18/04.07-16).
Buchs: Bahnhof mit Kiosk, Wartesälen und Restaurant, 1952 (StASG ZMA 18/04.07-16).

Quellen 

StASG A 137/82 (Justiz- und Polizeidepartement, Kantonspolizei, Nachrichtendienst: Fichen, Akten)

StASG A 137/1708

StASG A 137/2567.158

StASG A 137/2675

StASG A 116/216 (Justiz- und Polizeidepartement: Kantonspolizei: Politische Polizei, Akten)

StASG W 283/1-07820 (Foto Gross, St.Gallen: historisches Bildarchiv zum Kanton St.Gallen)

StASG ZMA 18/04.07-16 (Ansichtskartensammlung: Regionen und Ortschaften, Werdenberg, Buchs)

Flury-Dasen, Eric: Kalter Krieg, Innen- und sicherheitspolitische Aspekte in Historisches Lexikon der Schweiz; URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17344.php (Stand: 06.03.2017).

Kreis, Georg: Staatsschutz in Historisches Lexikon der Schweiz; URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17352.php (Stand: 06.03.2017).

 

Christine Stoy, Staatsarchiv St.Gallen 

 

 

 

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