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Publiziert am 06.07.2020 09:00 im Bereich Allgemein
Drei Bilder aus den Büchern von Roman Signer.

Roman Signer ist einer der wichtigsten Künstler der Schweiz und ist ein Bücherjunkie. Die Britische Kunstwissenschaftlerin Rachel Withers hat sich in seinen Büchern gut umschauen dürfen. Die Ausstellung in der Kantonsbibliothek Vadiana startet am 17. Juli und zeigt unter dem Namen «The Library of Marvels (Expanding Version)» in Form eines Riesen-Leporello die schönsten Werke aus Roman Signers Büchern.

Roman Signer (*1938) geht bei seiner Kunst von physikalischen Grundgesetzen aus. Die Werke entstehen mit dem Zutun der Natur. Zwar ähnelt die Arbeitsweise wissenschaftlichen Versuchsanlagen, doch es sind Experimente auf dem Gebiet der Poesie. Mit Präzision und Humor schafft der Künstler Bilder von grosser Reichweite und metaphorischem Tiefgang.

Entspannung in den Büchern

Zur Erholung und Entspannung geht er gerne Spazieren, ins Kino, trifft sich mit Freunden und der Familie – oder blättert in seinen Büchern; nicht um zu recherchieren – Ideen für seine Kunst hat er genug – sondern um sich abzulenken, aus absichtslosem Interesse. «Ich bin büchersüchtig», bekennt er sich. «Seit ich 18 bin, kaufe ich immer und überall Bücher, oft mehrere wöchentlich». Im Laufe der Zeit ist so eine grosse Sammlung meist gebrauchter, meist illustrierter Bücher zusammengekommen.

Rachel Withers (*1963) ist Kunstkritikerin und Dozentin für Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Bath Spa University. Seit bald 20 Jahren schreibt sie über das Werk von Roman Signer. 2011 startete sie ein Projekt zur Erforschung seiner Bibliothek, tauchte ein in die ständig wachsenden Bestände und durchforstete die Bücher insbesondere nach attraktiven Bebilderungen, die Aufschluss über Roman Signers spezifische Interessensgebiete geben – oder auch nicht.

Bildersammlung aus der Büchersammlung

So ist ihre eigene Sammlung an Hunderten von Bildern aus der Bibliothek des Künstlers entstanden: Darstellungen von Ameisenmägen, Querschnitte von Vulkanen, sowjetische Vorkriegsküche, Geissler-Röhren, Gesellschaftsspiele des 19. Jahrhunderts, Artillerie des 17.Jahrhunderts, Zünder, Blitze, Ballonkatastrophen, Plankton und vieles mehr.

2015 ergab sich daraus eine erste Präsentation unter dem Titel «The Library of Marvels (Fast Version)» in London. Roman Signer wünschte sich seither, dass diese kulturwissenschaftliche wie künstlerische, kaleidoskopische Auseinandersetzung mit seiner Büchersammlung erneut zu sehen ist. Rachel Withers ihrerseits wünschte sich, an diesem ersten und schnell geschneiderten Einblick weiterzuarbeiten. So ist – unter den ausserordentlichen Voraussetzungen der Coronapandemie – «The Library of Marvels (Expanding Version)» entstanden: ein im Zickzack geöffneter Riesen-Leporello, der im historischen Ausstellungssaal der Kantonsbibliothek Vadiana Platz gefunden hat.

Alte Bücher, aktuelle Themen

Titelgebend ist die vielteilige Populär-Enzyklopädie «Bibliothèque des Merveilles» (1865 – 1956). Zu entdecken sind aus zahlreichen Einzelteilen zusammengesetzte Bilderbogen, die zwar skizzenhaft und provisorisch daherkommen, aber präzise auf Themen fokussieren, die überraschend aktuell und heutig sind – und latent ambivalent. Es ist der Blick auf eine Welt, die gleichzeitig komisch und tragisch ist, zum Lachen und zum Weinen. Eine Welt, die das Streben nach Erfolg ebenso zeigt wie das Scheitern als Teil der menschlichen Existenz. Es ist die Welt des Absurden und Prekären. Es ist die Welt von Roman Signer, die Welt von uns allen.