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Publiziert am 15.06.2021 06:00 im Bereich Bildungsdepartement

Das Volksschulgesetz im Kanton St.Gallen hält in Art. 3 den Erziehungs- und Bildungsauf-trag der Volksschule fest. Dazu zählt auch die Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu verantwortungsbewussten Menschen nach den Grundsätzen von Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit im Rahmen des Rechtsstaats. Die Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrags wird im Lehrplan Volksschule u.a. als politische Bildung inhaltlich konkreti-siert und in Form von zu erreichenden Kompetenzen beschrieben. Diese werden verschie-denen Fächern bzw. überfachlichen Bereichen zugeordnet.

Ein demokratischer Staat ist auf interessierte, wissende und aktive Bürgerinnen und Bürger angewiesen. In einem dauernden Prozess muss der Staat bemüht sein, das Interesse an politischen Fragestellungen und Prozessen zu wecken, die aktive Beteiligung anzuregen sowie diese zu unterstützen, insbesondere auch bei den Heranwachsenden. Die Befähigung, sich eigene Meinungen zu bilden, diese adäquat einzubringen und zu vertreten und somit am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, ist ein wichtiger Bestandteil der Pflege des Zusammenlebens und der Lebensgestaltung in der Gesellschaft.

Politische Bildung im Sinn von Demokratie lernen und leben hat in der europäischen Bildungstradition einen noch relativ jungen Status. Was in den USA bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem einflussreichen Thema in der pädagogischen Diskussion wurde, gewann in Europa erst später an Bedeutung. Das Bewusstsein demokratischer Erziehung und Bildung wurde nach dem Ende des 2. Weltkriegs, u.a. mit dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhanges sowie mit der politischen Wende in vielen ehemaligen Ostblockstaaten während Jahrzehnten erst geschärft. Ein Ausdruck davon war 2005 das europäische Jahr der politischen Bildung.

Das Verständnis grundlegender Funktionen öffentlicher Institutionen war früher zentraler Inhalt der politischen Bildung («Staatskunde»), war aber aus heutiger Sicht einseitig gewichtet. Denn die Erziehung zu Mündigkeit und Demokratiefähigkeit, welche Grundaufgabe über alle Stufen hinweg sein muss, beschränkt sich nicht auf die Vermittlung von Wissen. Politische Bildung soll vielmehr ermöglichen, sich über das politisch-gesellschaftliche Leben zu informieren, sich dafür zu interessieren und eigenständig an ihm teilzunehmen. Erst mit der handelnden Auseinandersetzung mit Regeln und Werten der Gesellschaft und der Gestaltung des Zusammenlebens gelingt die vollwertige Integration des Einzelnen in unser demokratisches System.

Ich darf mit Genugtuung feststellen, dass es in unserem Bildungssystem zahlreiche Aktivitäten gibt, die dazu beitragen, die mit der politischen Bildung verfolgten Zielsetzungen zu erreichen. Das in der Mitte dieses Schulblattes beiliegende «extra» beschreibt in eindrücklichen Beiträgen, wie die in der modernen handlungsorientierten Didaktik angelegten Absichten praxisnah in unserem Schulsystem umgesetzt werden. Beispielhaft wird aufgezeigt, wie Partizipation, Mitgestaltung und Mitbestimmung auf verschiedenen Altersstufen Übungsfelder auf dem Weg zur politischen Mündigkeit sein können. Ich empfehle Ihnen deshalb die Lektüre unserer Spezialbeilage wärmstens.

Und noch etwas: In einer gewissen Regelmässigkeit wird das angeblich mangelnde Interesse der Jugendlichen an der Politik kritisiert. Ich gebe zu, dass bei unseren Jungen durchaus manchmal der Eindruck entstehen kann, dass sich Politik mehr am Wort als an der Handlung orientiert und deshalb eine Änderung dringend angezeigt sei. Aber ich bin auch der Meinung, dass hier der Begriff nicht zu eng gefasst werden darf. Denn Politik ist nicht einfach nur Debatte. Sie umfasst auch Verantwortung übernehmen, tolerant und kritikfähig sein und eigene Beiträge zum Wohl anderer zu leisten. Und hier stecken die Jugendlichen definitiv nicht zurück – sie sind also durchaus politisch aktiv.

Regierungsrat Stefan Kölliker
Vorsteher Bildungsdepartement