Logo Kanton St.Gallen
Publiziert am 15.06.2020 06:00 im Bereich Bildungsdepartement

Welches ist der Unterschied zwischen Erziehung und Bildung? Gibt es einen solchen? Un-sere Schulgesetze sprechen von «Erziehungs- und Bildungsauftrag». Das wird gemeinhin so interpretiert, dass die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler primär zu unterrichten und sekundär, in Unterstützung der Eltern, zu erziehen haben. Das Fremdwort «edukativ» wird der familiären Erziehung zugeordnet. Im Englischen ist das nicht so: «Education» wird dort als Aus- und Weiterbildung im schulischen Kontext verstanden, familiäre Erziehung heisst dort «Upbringing» o.a.

Die Sprachwissenschaftler würden mir verzeihen, falls sie mit diesen Überlegungen nichts anfangen könnten. Warum thematisiere ich diese Begriffe? Weil mit dem Wechsel zur neuen Amtsdauer 2020/2024 der Erziehungsrat, der oberste Schulrat unseres Kantons, seinen altbekannten Namen ablegt und neu Bildungsrat heisst. Im Jahr 2008 war schon das Erziehungsdepartement, das auch die logistische Basis für den Erziehungsrat ist, in Bildungsdepartement umgetauft worden. Das ging ohne Gesetzesänderung. Für einen Namenswechsel des Erziehungsrates hätte das Gesetz geändert werden müssen. Diesen Aufwand wollte man damals nicht treiben und so blieb es vorläufig beim alten Namen. Mit dem Resultat, dass in den letzten zwölf Jahren ab und zu nach dem Grund für die unterschiedlichen Bezeichnungen gefragt wurde und dazu Diskussionen geführt wurden. Erzieht der Erziehungsrat mehr als das Bildungsdepartement? Wie viel Erziehungsarbeit obliegt der Schule? Haben die Eltern als Erzieher ausgedient? Warum wird die Schule für erzieherische Defizite verantwortlich gemacht, sie soll doch einfach Stoff vermitteln…

Die Schulprofis haben die beiden Begriffe nie scharf getrennt, und ich finde das gut so. Die Pädagogik kennt längst die drei Kompetenzen Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz. Der neue Lehrplan unterscheidet fachliche und überfachliche Kompetenzen. Erziehung und Bildung gehören zusammen, sind zwei Seiten einer einzigen Medaille. Den Eltern soll die Schule zwar keineswegs die Erziehungsaufgabe streitig machen, das käme nicht gut. Aber zu ihrer Aufgabe gehört es auch, mit Ausbildung zu erziehen und mit Erziehung auszubilden. Ist uns das nicht soeben mit dem Corona-Fernunterricht in aller Deutlichkeit vor Augen geführt worden? Es genügt eben nicht, einfach auf Distanz zu skypen und Stoff durchzunehmen. Die Menschen brauchen Schulhäuser – auch für die persönliche Arbeit mit- und aneinander. Sie wollen, um Bischof Markus Büchel zu zitieren, als ganze Menschen in Beziehung zueinanderstehen. Die Eltern sehen das offensichtlich genau gleich: Die Entlastung von der familiären Betreuungspflicht allein kann nicht der Grund sein, dass die allermeisten von ihnen so sehr den Tag herbeigesehnt haben, an dem sie ihre Kinder nach dem Lockdown wieder «richtig» zur Schule schicken können.

Wenn der Erziehungsrat nun zum Bildungsrat wird, so setzt er nicht ein Signal zur Vernachlässigung der sozialen, erzieherischen Aspekte der Schule. Er wird sich auch als Bildungsrat für die Förderung der jungen Generation als «ganze Menschen» einsetzen, was mit Sicherheit auch im Sinn des Kantonsrates ist, der die Mitglieder neu wählt. Er kann das ohne weiteres tun, weil mit der Namensänderung keine Veränderung seiner Aufgaben und Zuständigkeiten verbunden ist. Der Bildungsrat bleibt das milizmässig aufgestellte Schulentwicklungsorgan unseres Kantons, mit dem strategischen Blick nach aussen und dem kritischen Blick nach innen. Ich freue mich sehr, mit diesem Rat auch die nächste Amtsdauer bestreiten zu dürfen!

 

Regierungsrat Stefan Kölliker

Vorsteher Bildungsdepartement