Die Berufswahl ist für die Jugendlichen eine herausfordernde Aufgabe und oft die erste eigenverantwortlich getroffene Entscheidung. Sie wird die nächsten Jahre der beruflichen und schulischen Entwicklung massgeblich prägen. Zudem fällt sie in ein Lebensalter, in dem die Pubertät Entscheidungen mitunter erschwert. Ein koordiniertes Zusammenspiel der verschiedenen Akteure, die am Entscheidungsprozess der Jugendlichen beteiligt sind, unterstützt einen positiven Verlauf.
Im Lehrplan Volksschule ist dazu folgender Hinweis enthalten:
«Auf dem Weg zu dieser Weichenstellung sind die Jugendlichen auf Unterstützung angewiesen. Diese Unterstützung ist eine Verbundaufgabe für Erziehungsberechtigte, Bildungsinstitutionen, Berufs- und Studienberatung sowie der Wirtschaft, wobei der Volksschule eine wichtige koordinierende Aufgabe zukommt.»
Die Jugendlichen sollen ihre Berufswahl aktiv angehen und ihren Berufswahlentscheid eigenverantwortlich fällen können. Dazu holen sie sich, falls nötig und wenn möglich, Unterstützung bei der richtigen Adresse. Ihre Aufgaben sind folgende:
- Sie informieren sich über das Bildungssystem und die Berufswelt und nutzen die entsprechenden Informationsquellen und Informationsveranstaltungen.
- Sie planen und gestalten ihren persönlichen Berufswahlprozess und nehmen dazu wo nötig Unterstützung in Anspruch.
- Sie tauschen sich mit ihren Eltern und Bezugspersonen aus.
- Sie erstellen Bewerbungsunterlagen.
- Sie machen Betriebs- und Berufserkundungen in der Arbeitswelt sowie Tagespraktika/«Schnupperlehren» und organisieren diese selbständig.
- Sie reflektieren ihre gewonnenen Erfahrungen und lassen die Erkenntnisse in den weiteren Berufs- und Schulwahlprozess einfliessen.
Die Erziehungsberechtigten unterstützen die Berufswahl ihrer Kinder:
- Sie stehen ihren Kindern als Gesprächspartner unterstützend zur Verfügung.
- Sie interessieren und informieren sich über das Bildungssystem und seine Möglichkeiten.
- Sie kooperieren mit der Schule, indem sie ihrer Mitwirkungspflicht gemäss Art. 96bis des Volksschulgesetzes nachkommend an schulischen Elterngesprächen und Elternveranstaltungen zum Thema teilnehmen.
- Sie begleiten ihr Kind bei Bedarf an Beratungsgespräche zur Berufs- und Laufbahnberatung (BLB).
- Sie unterstützen ihr Kind während der Tagespraktika/«Schnupperlehren» und bei der Lehrstellensuche.
Die Verantwortung für den Ausbildungsentscheid liegt bei den Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten. Sie werden durch Schule und die BLB unterstützt. Die Stärkung der Eigenverantwortung steht dabei im Vordergrund.
Die Schule hat eine wichtige fachliche und koordinierende Aufgabe in der Berufswahl der Schülerinnen und Schüler.
Die Schulleitung unterstützt den Berufswahlprozess der Jugendlichen wie folgt:
- Sie sorgt für die lokale Konkretisierung des Berufswahlfahrplans und schafft damit eine wichtige Planungsgrundlage für Lehrpersonen, Jugendliche, Erziehungsberechtigte, abnehmende Schulen und Lehrbetriebe.
- Sie sorgt für eine aktuelle, hohe fachliche Kompetenz der Lehrpersonen im Bereich Berufliche Orientierung (BO), z.B. mittels Weiterbildung, Teilnahme an Informationsveranstaltungen.
- Sie stellt die Information der Erziehungsberechtigten über die Berufswahl z.B. an Elternabenden sicher (auch in Zusammenarbeit mit der BLB).
Die Klassenlehrperson steht den Beteiligten als wichtige Ansprech- und Vertrauensperson zur Verfügung. Sie setzt den Berufswahlfahrplan um und gleicht mit den Jugendlichen ihren individuellen Berufswahlprozess ab. Sie nimmt folgende Verantwortung wahr:
Unterricht BO
- Die Klassenlehrperson bietet einen qualitativ hochstehenden Unterricht, der auf die Berufswelt und weiterführende Schulen vorbereitet, und nutzt dazu geeignete Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien.
- Sie vermittelt neben den Inhalten des Lehrplan BO auch die drei Kompetenzen, die aus dem Lehrplan Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (WAH) im Kanton St.Gallen dem Fach BO zugeordnet sind.
- Sie unterstützt die Schülerinnen und Schüler dabei, ihre persönlichen Bewerbungsunterlagen bereitzuhalten und eine individuelle Bewerbungsstrategie zu entwickeln.
- Sie motiviert und unterstützt die Schülerinnen und Schüler, die Berufswelt durch Tagespraktika/«Schnupperlehren», Berufserkundungen, Betriebserkundungen usw. kennen zu lernen. An solchen Aktivitäten sollen auch jene Jugendlichen teilnehmen, die den Besuch einer Mittelschule in Betracht ziehen.
- Sie motiviert die Schülerinnen und Schüler, welche entsprechendes Potential haben, an Informationsveranstaltungen der Mittelschulen teilzunehmen.
- Sie fördert die Schülerinnen und Schüler darin, Werte wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit, usw. zu leben.
Individuelle Begleitung
- Sie berät Jugendliche in ihrem individuellen Prozess und fördert die persönliche Entwicklung.
- Sie spricht Unklarheiten an, bietet Erfahrungssituationen und Entscheidungshilfen und zeigt Alternativen auf.
Koordination
- Sie koordiniert den Beizug der verschiedenen Akteure und orientiert sich dabei am Berufswahlfahrplan.
- Sie ermöglicht den Schülerinnen und Schülern Standortbestimmungen in persönlichen Gesprächen, auch zusammen mit den Erziehungsberechtigten.
- Sie pflegt die enge Zusammenarbeit mit den Fachpersonen der BLB.
- Sie pflegt aktiv den Kontakt zu Betrieben, z.B. bei Berufserkundungen/«Schnupperlehren» und im Bewerbungsprozess.
- Sie stellt zusammen mit der Deutschlehrperson sicher, dass im Deutschunterricht ein Lebenslauf erstellt, das Motivationsschreiben verfasst und das Vorstellungsgespräch geübt wird.
- Sie leitet die Jugendlichen allenfalls an Fachpersonen weiter (z.B. Case Management Berufsbildung).
Die Lehrbetriebe suchen Nachwuchskräfte und bieten diesen Ausbildungsplätze an.
Es ist ideal, wenn die Lehrbetriebe folgende Leistungen erbringen:
- Sie informieren die Lehrpersonen und die Schülerinnen und Schüler sowie Erziehungsberechtigte über die Berufe im Ausbildungsbetrieb.
- Sie bieten Möglichkeiten für Tagespraktika und «Schnupperlehren» für Oberstufenschülerinnen und -schüler.
- Nach einer «Schnupperlehre» geben sie den Jugendlichen eine Rückmeldung zu ihrem Einsatz und die Eignung für den entsprechenden Beruf.
- Sie stellen ein Lehrstellenangebot bereit.
- Sie pflegen einen fairen, transparenten Umgang mit den Bewerberinnen und Bewerbern und berücksichtigen bei den an sie gestellten Anforderungen ihr Alter.
Bereits nach der 2. Oberstufenklasse können Schülerinnen und Schüler, welche die Aufnahmeprüfung bestehen, ans Gymnasium übertreten und einen Schwerpunkt wählen. Als Schwerpunktfächer werden Latein, Italienisch, Spanisch, Physik und Anwendungen der Mathematik, Biologie und Chemie, Wirtschaft und Recht, Musik, Bildnerisches Gestalten angeboten. In der Stadt St.Gallen werden zudem jährlich zwei Klassenzüge des Untergymnasiums geführt, welche an die 6. Primarklasse anschliessen. Der Übertritt in die Wirtschafts-, Informatik- oder Fachmittelschule erfolgt – ebenfalls nach bestandener Aufnahmeprüfung – nach der 3. Oberstufe.
Die Mittelschulen unterstützen den Berufswahlprozess wie folgt:
- Sie informieren die Lehrpersonen, die Schülerinnen und Schüler sowie Erziehungsberechtigte über ihr Angebot.
- Sie geben jährlich die Prüfungsanforderungen für die Aufnahmeprüfungen bekannt.
Nicht in erster Linie der Wohn- oder der Arbeitsort der Lernenden entscheidet darüber, an welchem Standort sie die Berufsfachschule besuchen. Ausschlaggebend ist insbesondere der Lehrberuf. Mit dem Entscheid für die Lehrstelle wird automatisch auch festgelegt, an welchen Berufs- und Weiterbildungszentren der Schulbesuch möglich ist. Zur Wahl steht also nicht die einzelne Berufsfachschule.
Schülerinnen und Schüler mit erweiterten Anforderungen in der Oberstufe können sich für die Berufsmaturität (BM) entscheiden. Sie besuchen während der Lehre wöchentlich einen Tag zusätzlich die Schule und erlangen neben ihrem Lehrabschluss gleichzeitig die BM, welche ihnen Zugang zu den Fachhochschulen eröffnet.
Für die BM ist eine Aufnahmeprüfung zu bestehen. Diese ist identisch mit jener für die Fach-, die Wirtschafts- und die Informatikmittelschule und erfolgt jeweils im Herbst.
Die Berufsfachschulen unterstützen den Berufswahlprozess wie folgt:
- Sie informieren die Lehrpersonen, die Schülerinnen und Schüler sowie die Erziehungsberechtigten über das Angebot BM.
- Sie geben jährlich die Prüfungsanforderungen für die Aufnahmeprüfungen bekannt.
Für Jugendliche, die nach der Oberstufe weder in eine Mittelschule noch in eine Berufslehre übertreten, gibt es verschiedene Zwischenlösungen. Diese ermöglichen ein zusätzliches Jahr für die Berufswahl und können einen bestimmten Schwerpunkt setzen. Neben privaten und staatlichen Brückenangeboten bieten auch Praktika oder ein «Welschland-Jahr» als Au-pair die Möglichkeit, den konkreten Berufswahlentscheid ein Jahr später zu fällen.
Die BLB des Kantons St.Gallen stellt im Laufe des Berufswahlprozesses eine Reihe von unterstützenden Angeboten für Schülerinnen und Schüler, für Erziehungsberechtigte sowie für die Schule zur Verfügung. Dabei ist sie auf eine gute Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren angewiesen und fördert diese. Die Berufsberaterinnen und -berater stehen insbesondere auch den Lehrpersonen unterstützend zur Seite.
Die Berufsberatung der IV bietet Unterstützung für Jugendliche mit gesundheitlichen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen. Die IV-Berufsberatungspersonen begleiten den individuellen Berufswahlprozess und stehen dabei in engem Kontakt mit den Beteiligten. Sie klären ab, ob und welche Unterstützung für eine erfolgreiche Ausbildung notwendig und möglich ist und entlasten damit die Lehrpersonen. Allfällige Kosten für berufliche Massnahmen werden durch die IV-Stelle finanziert.
Die Erziehungsberechtigten melden ihr Kind an (Anmeldung für Minderjährige: Berufliche Massnahmen). Als erstes wird geprüft, ob in Zusammenhang mit der Art der Einschränkung grundsätzlich Anspruch auf Leistungen besteht. Da diese Prüfung einige Monate in Anspruch nehmen kann, ist eine frühzeitige Anmeldung wichtig. Die Klassenlehrperson soll die Erziehungsberechtigten gegebenenfalls darauf hinweisen.
In besonderen Fällen, bei denen ein erfolgreicher Übertritt in eine Ausbildung der Sekundarstufe II gefährdet ist, kann weitere Unterstützung aktiviert werden, z.B. durch das Case Management Berufsbildung. Insbesondere bei Jugendlichen, welche bereits mit der Schulsozialarbeit vertraut sind, kann diese eine begleitende und unterstützende Funktion auch im Berufswahlprozess wahrnehmen.
Sind bereits weitere Akteure involviert, so ist eine Koordination der Unterstützungsmass-nahmen der verschiedenen beteiligten Personen und Fachstellen sinnvoll. Die Klassenlehrperson ist auf Seiten der Schule in der Regel fallführend. Es wird empfohlen, dass sie bei Bedarf die Zusammenarbeit mit den weiteren Beteiligten einleitet. Die Vorgaben des Datenschutzes sind einzuhalten.